Nettwerk Music Europe Geschäftsführer im Interview
Das kanadische Musiklabel Nettwerk hat in Hamburg sein Europa-Headquarter eröffnet. Geschäftsführer Martin Schuhmacher erläutert die Standortwahl und die Auswirkungen von AI.
Das kanadische Musiklabel Nettwerk hat in Hamburg sein Europa-Headquarter eröffnet. Geschäftsführer Martin Schuhmacher erläutert die Standortwahl und die Auswirkungen von AI.
Das kanadische Musiklabel Nettwerk hat in Hamburg sein Europa-Headquarter eröffnet. Wieso sich das Label für den Standort Hamburg entschieden hat, wie das Label versucht Artists langfristig aufzubauen und welche Auswirkungen AI-Entwicklungen auf die Musikbranche haben, darüber konnten wir mit Geschäftsführer Martin Schuhmacher sprechen.
nextMedia: Martin, du bist seit Anfang April 2023 Managing Direktor der Nettwerk Music Europe GmbH. Hol uns kurz ab: Was ist Nettwerk und wie kam es dazu?
Martin Schuhmacher: Nettwerk ist ein kanadisches Musiklabel mit einem Schwerpunkt im Bereich Singer / Songwriter, zuletzt aber auch Alternative im weitesten Sinne. Für das Label arbeiten aktuell weltweit rund 200 Mitarbeitende. Ich selbst arbeite seit Januar 2006 für Nettwerk. Zu der Zeit wollte das Unternehmen in Europa selbstständig Fuß fassen. Ich habe zunächst auf Retainer-Basis den EU-Markt betreut. Mit der Zeit ist das Unternehmen dann immer weitergewachsen und die Überlegung reifte, eine GmbH zu gründen. Ich wurde gefragt, ob ich diese GmbH aufbauen und als Geschäftsführer leiten möchte. Ich wollte und bin nun seit April letzten Jahres Leiter eines Teams von acht Mitarbeiter*innen in Hamburg. Zwei weitere leben in den Niederlanden und einer in Berlin.
nextMedia: Ihr habt euch für den Standort Hamburg entschieden. Warum?
Martin Schuhmacher: Zum einen bin ich schon seit einiger Zeit in Hamburg. Ich habe hier bereits früher für Yo Mama’sRecording Company und Edel Records gearbeitet. Zum anderen sitzt Nettwerk in Kanada interessanterweise auch nicht in der Musikmetropole Toronto, sondern in Vancouver. Vielleicht ist es Zufall, aber es kam nie die Frage auf, ob Berlin der bessere Standort wäre. Hinzu kommt, dass hybrides Arbeiten bei uns genauso verbreitet ist wie überall anders auch. Einer unserer A&Rs lebt beispielsweise in Berlin, der andere lebt in den Niederlanden. Und wenn wir in die USA schauen, ist es noch krasser. Früher hatten wir nur Produktmanager*innen in Vancouver und L.A. Heute sitzen die übers ganze Land verteilt.
nextMedia: Was macht Hamburg für euch dann attraktiv?
Martin Schuhmacher: Da gibt es zwei Aspekte. Zunächst ist Hamburg seriöser als Berlin. Das hat sich mittlerweile etwas verändert, aber das Klischee des “ich arbeite an 10 Projekte gleichzeitig Berliners” bestätigt sich doch noch häufig (lachen). Hamburg ist dann doch noch mehr Kaufmannsstadt und diese Mentalität findet sich hier auch wieder. Das andere ist die Größe. Sie ist perfekt, da internationale Acts hier spielen, aber gleichzeitig die Wege so kurz sind.
nextMedia: Ich frage nach, weil ich in einem Artikel gelesen habe, dass ihr mit der lokalen Musik-Community enger zusammenzuarbeiten möchtet.
Martin Schuhmacher: Das stimmt und damit haben wir auch schon angefangen. Wir pflegen beispielsweise guten Kontakt zu FKP Scorpio oder verschiedenen Managementagenturen, die in Hamburg sitzen. Wir treten aber nicht in Konkurrenz zu Grand Hotel van Cleef oder anderen Hamburger Labels, da wir uns auf englischsprachige Künstler*innen konzentrieren. Insbesondere solche, die bereits erste regionale Erfolge bei Streamingdiensten erzielen konnten, aber im Ausland nicht weiterkommen. Meistens fehlt den Artists der Zugang, um auch dort auf Newcomer Playlists o.ä. zu kommen. Und da kommen wir mit unserem Netzwerk ins Spiel.
nextMedia: Wie kann ich mir das vorstellen?
Martin Schuhmacher: Nehmen wir eine deutsche Band, die bereits gute Streamingzahlen im DACH-Raum vorweisen kann und Konzerte vor 600 Personen spielen. Wenn solche Bands von Major-Labels unter Vertrag genommen werden, passiert oft folgendes: Die Releases der Artists finden bei den anderen europäischen Dependancen (Paris, London, etc.) kaum Beachtung. Dadurch findet international keine Entwicklung statt. Wir versuchen solche Artists zunächst lokal noch weiter aufzubauen und durch unsere Communities im Ausland bekannter zu machen.
nextMedia: Playlists spielen dabei eine große Rolle. Spotify hat kürzlich angekündigt durch KI noch stärker auf Personalisierung zu setzen. Sind solche Entwicklungen spannend für euch?
Martin Schuhmacher: Spotify ist extrem wichtig. Deshalb beobachten wir solche Entwicklungen sehr genau. Es stimmt, Playlists haben einen enormen Einfluss auf den Erfolg der Künstler*innen. Sich aber allein auf Editorial Playlists, also kuratierte Playlists mit vielen Follower*innen, zu verlassen, ist ein Glücksspiel – gerade bei noch nicht etablierten Acts. Für uns spielt daher der Aufbau von Followern, die für organisches Streaming sorgen, die entscheidende Rolle, da dies auch algorithmisches Streaming fördert und verstärkt. Unserer Einschätzung nach wird es künftig mehr KI und Algorithmus basiertes Playlisting geben. Daher ist die Datenanalyse ein wichtiger Faktor bei unserer Arbeit.
nextMedia: Welche Daten meinst du und warum sind diese so relevant?
Martin Schuhmacher: Spotify stellt ihren Partnern vergleichsweise viele Daten zur Verfügung. Das sind natürlich Streamingzahlen, aber auch Informationen zu Reichweiten und Zielgruppen. Diese Informationen bereiten wir auf und analysieren sie. Sie sind wichtig, weil sie uns dabei helfen unsere Strategie zu optimieren. Auf diese Weise haben wir unter anderem festgestellt, dass Communities, also Gruppen von Artists, dabei helfen können, natürliche Streamingschwankungen zu verringern und die Zahl der monatlichen Hörer*innen auch über längere Zeiträume hinweg zu verstetigen oder sogar zu erhöhen.
nextMedia: Das klingt interessant. Wie genau funktioniert das?
Martin Schuhmacher: Wie bei anderen Plattformen auch belohnt der Algorithmus kontinuierliche Veröffentlichungen. Daher wäre es theoretisch optimal, wenn ein Artist alle fünf bis acht Wochen einen neuen Song veröffentlichen würde. Das stimuliert den Algorithmus und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Songs in Playlists landen. Dies erklärt unter anderem auch, warum vor einem Album-Release heutzutage deutlich mehr als zwei Songs als Singles veröffentlicht werden. Da einige Zeit nach der Veröffentlichung eines Albums die Aufmerksamkeit nachlässt und die Zahl der Streams sinkt, liegt es an uns, Wege zu finden, diese Schwankungen zu reduzieren. Dies schaffen wir unter anderem über die Communities, also Gruppen verschiedener Artists eines Genres. Und je mehr Artists einer Community wir unter Vertrag haben, desto besser können wir Veröffentlichungszyklen abstimmen und die Effekte der Releases nutzen.
nextMedia: Wie muss ich mir das Konzept dieser Communities vorstellen?
Martin Schuhmacher: Das Prinzip kennen wir von “Fans also like” Vorschlägen. Also Hinweise zu anderen Artists, die von denselben Nutzern gehört werden. Es ist komplizierter, aber so in etwa kann man sich das vorstellen. Das ist eigentlich eine schöne Sache, denn früher sind wir davon ausgegangen, dass sich Artists gegenseitig kannibalisieren. Wenn du dir damals eine CD kaufen wolltest und 15 EUR zu Verfügung hattest, musstest du dich für einen Artist entscheiden. Das Gegenteil ist hier nun der Fall – sie unterstützen sich quasi gegenseitig.
nextMedia: Was wird sich durch den Einsatz von KI in der Musikbranche verändern?
Martin Schuhmacher: Was wir jetzt schon absehen können, ist, dass funktionale Musik, wie sie z.B. auf Playlisten wie Deep Focus oder Peaceful Piano kuratiert wird zunehmend KI-basiert produziert wird. Mit der Unterstützung von KI bist du in der Lage einen viel höheren Output zu generieren. Das Angebot wächst und damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass du als originärer Künstler, der nicht unter duzenden, wenn nicht hunderten Projektnamen veröffentlicht, in dem Bereich von deiner Musik leben kannst. Auch, weil diese Art von Musik überwiegend über Playlists gehört wird und nur über eine sehr geringe organische Reichweite verfügt.
nextMedia: Ist es für euch denn als Label relevant, ob eure Künstler*innen Songs mit KI erschaffen oder nicht?
Martin Schuhmacher: Wenn du KI für deine Kunst einsetzt, stört uns das nicht. Im Gegenteil, da gibt es viel Potenzial. Wenn du beispielsweise deine Stimme via KI komplett veränderst, kann das ja sogar ein charakteristisches Stilelement sein. KI wird den Artist nicht ersetzen, aber die Produktion und die Arbeit effizienter machen.
nextMedia: Vielen Dank für das Gespräch!