Die re:publica zu Gast auf St. Pauli
Vom 19. - 21. September 2024 war die re:publica bereits zum zweiten Mal Teil des Reeperbahn Festivals. Ein Rückblick.
Vom 19. - 21. September 2024 war die re:publica bereits zum zweiten Mal Teil des Reeperbahn Festivals. Ein Rückblick.
Es war angerichtet: Als die Verantwortlichen der re:publica am Donnerstagabend auf die Bühne gingen, um das Programm offiziell zu eröffnen, wummerte im Hintergrund bereits der Bass. Schnell wurde klar: das Format re:publica x Reeperbahn Festival ist außergewöhnlich. Ein musikaffines Publikum trifft auf Digital- und Gesellschaftsthemen, dazu Live-Musik, im Hintergrund das Stadion des FC St. Paulis – und in diesem Jahr sogar mit einem Spätsommer, der keine Wünsche offenließ.
Keine Wünsche offen ließ in Puncto Kreativität dann auch der erste re:publica-Programmpunkt des Festivals. Unter dem Titel “Prompteurs, gather! Let the battle begin” begann das Wochenende mit einem Prompt Battle, moderiert von Laura Rohloff (Leitung Design Zentrum Hamburg) und Ninu Dramis (Designer & Founder). Das Ziel des interaktiven Formats: Durch eine spielerische Annäherung an das Thema Künstliche Intelligenz (KI) Kreativität zu fördern, Berührungsängste abzubauen und Neugier zu wecken. Die Zuschauer*innen konnten die Prompts der fünf Teilnehmenden parallel auf den Bildschirmen verfolgen. Beim Prompt Battle entscheidet das Publikum auch, wer das spannendste und kreativste Werk im festgelegten Zeitraum erschafft.
Der Live-Wettbewerb, bei dem fünf Teilnehmende gegeneinander antreten, um ihre Fähigkeiten in der Erstellung von Prompts (KI generierte Bilder) unter Beweis zu stellen, erwies sich als perfekter Einstieg zur ausgelassenen Stimmung des Festivals. Bereits zum zweiten Mal gastierte die re:publica auf dem Heiligengeistfeld – und das merklich gekonnt. Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 ist die in Berlin beheimatete Konferenz jährlicher Treffpunkt für Digital-Enthusiast*innen und Forum für Diskussionen, Vorträge und Workshops zu allen Themen rund um Internetfreiheit, Digitalgesellschaft, Innovationen, aktuellen politischen und soziale Medien. So auch auf dem Reeperbahnfestival – wo darüber hinaus natürlich auch die Musikbranche in den Blick genommen wurde. Das Programm lockte mit spannenden Inhalten und zahlreichen fachkundig ausgewählten Speaker*innen, darunter Journalist*innen, Technologieexpert*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen.
Bei der gemeinsamen Auftaktveranstaltung am Freitagmorgen im SPACE luden re:publica und nextMedia.Hamburg zum Breakfast-Talk ein, bei der das Thema Innovationskultur im Zentrum stand. Unter dem Titel „Krise, Chaos, Innovation – wie in Unternehmen Neues entsteht” hielten Marina und Jannis Schakarian einen Vortrag, der in Form eines klassischen Märchens samt Königsfamilie und Schloss vorgetragen wurde.
Das Learning der Geschichte: Innovation macht man nicht für das Ergebnis, sondern für die Mitarbeitenden. Statt sich auf den Erfolg nach außen zu fokussieren, sollten Unternehmen ihre eigenen Strukturen, Prozesse und Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellen. Denn Innovationen können ein mächtiger Treiber für positive Veränderungen innerhalb eines Unternehmens sein – vorausgesetzt, sie werden richtig umgesetzt. Konkret gaben Marina und Jannis diese Dinge mit:
Innovation heißt nicht, dass man etwas anderes macht, sondern etwas anders macht.
Mehr als der Entwicklung neuer Produkte, dient Innovation der Entwicklung der Mitarbeitenden.
Um Widerstände abzubauen und alle mitzunehmen, bedarf es mehr Kommunikation, als man annehmen würde.
Nach dem Breakfast-Talk ging es für die Teilnehmenden auf das Festivalgelände, wo das Programm bereits auf Hochtouren lief. Das offene Bühnenkonzept auf dem Heiligengeistfeld lud dazu ein, sich zwischen verschiedenen Locations, Musikbühnen und Areas treiben zu lassen und die Atmosphäre zu genießen. Die im Zentrum stehende Hangar-Bühne vor dem Millerntorstadion, die auch von Besucher*innen ohne Reeperbahn Festival Ticket besucht werden konnte, bildete das Zentrum des re:publica- Bereiches. Von hier aus konnten weitere Flächen, wie das Glass House oder das Neo House angesteuert werden.
Thema auf der Hangar-Bühne war unter anderem auch das digitale Kartographieprojekt mit dem Namen „WIR SIND HIER“. Das aktivistische Kunstprojekt von Talya Feldman zeigt, wie Erinnerungsarbeit als aktive Form des Widerstands und der Veränderung gestaltet werden kann. Das Projekt, das in enger Zusammenarbeit mit Initiativen entstanden war, die gegen Rassismus und Antisemitismus in Deutschland kämpfen, bietet eine Plattform für Überlebende und Angehörige von Opfern rechter und polizeilicher Gewalt. Es lädt die Nutzer*innen ein, sich eine neue Form des Gedenkens vorzustellen – von Umbenennungen von Straßen bis hin zu digitalen Denkmälern.
Mit der Frage: „Wie können KI-Anwendungen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen?” stellten sich im Anschluss zwei Projektteams der Initiative „Civic Coding – Innovationsnetz KI für das Gemeinwohl“ vor. In ihren Vorträgen erklärten sie, wie und warum sie KI für gemeinwohlorientierte Zwecke einsetzen. Das erste Projekt „Mother Earth AI“ ist ein Open-Source-Projekt, bei dem Nutzer*innen via Telefon mit Mutter Erde sprechen und Fragen zum Ökosystem stellen können. Die KI wurde mit indigenem Wissen trainiert und beantwortet die Fragen aus der Perspektive von „Mutter Erde“. Mit dem Projekt möchten die Initiator*innen auf spielerische Weise Menschen dazu einladen, in einen Dialog mit unserem Ökosystem zu treten.
Anschließend stellte sich das Projekt „pib@school“ vor. pib ist ein druckbarer intelligenter Bot. Bei dem Projekt können Schüler*innen nur mit der Bereitstellung eines 3D-Druckers einen eigenen humanoiden Roboter bauen und so praktische Erfahrungen im Bereich Robotik und KI sammeln. Die Intitiator*innen stellen entsprechende Hilfeleistungen und Codes zur Verfügung. Besucher*innen hatten im Anschluss die Möglichkeit mehr über die Projekte zu erfahren und die Gegenstände aus nächster Nähe zu begutachten.
Wie funktioniert eigentlich eine moderne Regionalredaktion? Dieser Frage wurde am Samstagmittag auf der Hangar-Bühne nachgegangen. Maria Rossbauer und Florian Zinnecker, Leiter*innen des Hamburg-Ressorts der Zeit, gaben spannende Einblicke in ihre Arbeit bei der Elbvertiefung. Im Gespräch mit Moderator Götz Bühler erklärten sie, wie die Berichterstattung über Hamburg auf verschiedenen Kanälen – von der gedruckten Zeitung über Online-Beiträge bis hin zum Podcast – funktionierte. Am Beispiel der Podcast-Folge “Eine Stadt, zwei Keller, 139 Leichen”, schilderten die Ressortleiter*innen den Produktionsverlauf einer solchen Berichterstattung sowie deren Distribution.
Wenig später widmete sich im Glass House eine Panel-Diskussion mit dem Titel “Arbeitswelten im Umbruch - KI und der Wandel in der Kreativbranche” dem Thema Kreativität im Zeitalter der KI. Mit dabei waren Paulina Bietz, Ninu Dramis, Jonas Ross und Sofia Kats, die tiefe Einblicke in aktuelle Projekte und Use-Cases gaben. Die Expert*innen aus den Bereichen Design, Film und Audio nannten zunächst ihre persönlichen Beweggründe, warum sie begannen sich intensiver mit dem Thema KI in ihrer Branch auseinandersetzen. Zugleich blickte die Runde aus den verschiedenen Blickwinkeln darauf, welche Auswirkung KI auf ihre jeweilige Branche konkret hat. So erläuterte die Videoproduzentin und Moderatorin Sofia Kats, dass sie durch KI deutlich kostengünstigere Moodwelten für Konzeptionen erstellen könne, also zuvor. Der Creative Producer Jonas Ross nannte konkrete Vorteile bei der Aufbereitung von Podcast-Produktionen, bei der Dank KI unerwünschte Hintergrundgeräusche oder minderwertige Aufnahmequalitäten schnell und einfach überarbeitet werden können. Gleichzeitig kritisierte das Panel, die bislang fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Durch die vielen Veränderungsmöglichkeiten und einer Missachtung der Urheber*innen, könne Geistiges Eigentum immer schwieriger geschützt werden, so die Speaker*innen.
Insgesamt zeigte die re:publica in Hamburg eindrucksvoll, wie vielseitig und interdisziplinär das Thema Innovation behandelt werden konnte – von Künstlicher Intelligenz über Erinnerungskultur bis hin zu kreativem Schaffen. Das Programm bot die perfekte Plattform, um neue Ideen zu entwickeln, sich auszutauschen und gemeinsam Ideen für die Zukunft zu entwickeln. Das offene Gelände auf dem Heiligengeistfeld schuf eine entspannte Atmosphäre, die dazu einlud, sich treiben und inspirieren zu lassen, ohne sich dabei stressen zu lassen. Gerne wieder!