„Zu Beginn waren wir die großen Internet-Erklärer“

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Wolfgang Macht – Mitgründer der Netzpiloten, Pionier der deutschen Start-up-Szene und Digital-Enthusiast durch und durch, blickt mit uns auf die Entstehung und die Zukunft der digitalen Revolution. Im Interview konnten wir darüber sprechen, wer die Netzpiloten sind, was er am Standort Hamburg schätzt und wie er die KI-Entwicklungen einordnet. 

nextMedia: Wolfgang, im Netz habe ich häufig die Formulierung gefunden, dass du zu den Pionieren der deutschen Internet-Macher zählst. Ziemlich cool – wie lebt es sich mit diesem Ruf? 

Wolfgang Macht: (Lacht). Das finde ich schon gut! Wir gehören ja tatsächlich zu der ersten Start-up-Welle Mitte der 1990er Jahre und wir haben damals bis heute viel erlebt. Vor allem haben wir überlebt. Etliche Weggefährt*innen aus der New Economy mussten aufgeben, wurden gekauft oder haben die Branche gewechselt. Wir sind noch da. Wir haben immer wieder vieles zum ersten Mal gemacht – mit allen Höhen und Tiefen. Das hat schon was von Pioniertum. 

nextMedia: Gehen wir einen Schritt zurück: Wer oder was sind die Netzpiloten für dich? 

Wolfgang Macht: Für mich navigieren die Netzpiloten seit über 25 Jahren ein kleines, wendiges Raumschiff durch das Universum der digitalen Revolution. Wir verstehen uns als leidenschaftliche und nimmermüde Explorer. Wir mussten uns vielfach auf neue digitale Welten einstellen: Beschaulich anfangen hat alles mit den Websites des World Wide Webs. Dann kam E-Commerce, Big Data, Social Media, die Cloud und jetzt KI. Wir haben immer versucht, cool und kreativ durch die Innovationsstürme hindurchzugleiten. 

nextMedia: Was ist die Kernleistung der Netzpiloten?  

Wolfgang Macht: Wir sind Digitalwerker, haben uns immer wieder Produkte ausgedacht, selbst produziert und betrieben. Gleichzeitig sind wir von jeher leidenschaftliche Publisher. Auf unseren Kanälen veröffentlichen wir regelmäßig Artikel zu aktuellen Themen und Trends. Zu Beginn des World Wide Webs waren wir die großen Internet-Erklärer im deutschsprachigen Raum, die mit unterhaltsamen Touren durchs Web die Leute an die Hand genommen haben. Das wurde dann irgendwann nicht mehr gebraucht. Später richteten wir unseren Fokus verstärkt auf das Blogging. Heute produzieren wir auch Podcasts. Im weitesten Sinne kreist alles immer um Texte – seien sie nun gesprochen oder geschrieben oder sonst wie aufbereitet.  

nextMedia: Ihr seid eines der ersten geförderten Hamburger Start-ups. Warum Hamburg und wie kam es dazu?  

Wolfgang Macht: Mein Gründungspartner Matthias Dentler und ich lebten in Hamburg. Er war Kaufmännischer Leiter in einer Firma und ich war Redakteur für Neue Medien bei einer Wochenzeitung. 1995 hatten wir aus Neugier angefangen, erste Websites zu bauen. Wir wollten die Potenziale des Internets entdecken und haben einfach losgelegt. Relativ schnell entwickelte sich die Idee für die Netzpiloten: Ein halbautomatischer, redaktioneller Guide, als Helfer für das neue World Wide Web. Wir wollten dafür ein smartes Navigationstool entwickeln, mit dem die User*innen interagieren können. Diese Softwareentwicklung musste finanziert werden. Mit der Idee haben wir uns bei der Wirtschaftsbehörde um Fördergelder beworben. Meines Wissens waren wir die ersten oder zweiten Empfänger der neu aufgesetzten IT-Förderung. Wir hatten den Pitch gewonnen, konnten starten und wurden schnell erfolgreich. Wir sind sehr dankbar für die Starthilfe, die Unterstützung und das Vertrauen. Denn auch als es zwischendurch mal gar nicht gut lief, hat man uns immer geholfen. Diese Zeiten waren sehr prägend und intensiv und verbinden uns bis heute herzlich mit Hamburg. 

nextMedia: Du lebst mittlerweile in Berlin. Ist euer Standort noch immer in Hamburg?   

Wolfgang Macht: Der Sitz der AG ist nach wie vor in Hamburg. Einen Teil unseres Unternehmens haben wir vor ein paar Jahren verkauft. Deswegen ist das Team aktuell in Hamburg klein. In Berlin und Barcelona arbeiten rund 20 Mitarbeiter*innen. 

nextMedia: Was macht Hamburg für dich immer noch attraktiv?  

Wolfgang Macht: Hamburg ist seit jeher ein Paradies für Content-Creator. Die großen Magazinverlage wie der Spiegel und DIE ZEIT sind hier. Offensichtlich war es immer ein Ziel der Politik, Hamburg als Medienstandort stetig weiterzuentwickeln. Talente werden gefördert, Trends gespottet und neue Ideen ausprobiert. Das ist mir hoch sympathisch. Ich habe die Netzpiloten immer eher als kleines Indie-Projekt verstanden, aber auch wir sind Teil der digitalen Mediengeschichte. Deswegen interessieren uns die Entwicklungen und Trends der Branche sehr. Wir möchten eng dran sein, und in Hamburg ist man das.  

nextMedia: Ihr seid Teil der nextMedia.Hamburg-Community und nutzt den Innovationsraum SPACE regelmäßig. Welche Vorteile bietet der SPACE für euch? 

Wolfgang Macht: Den SPACE lieben wir für inspirierende Redaktionstreffen. Wir arbeiten remote first, wollen uns aber natürlich regelmäßig als Team treffen, um gemeinsam zu arbeiten. Dafür ist der SPACE perfekt. Wir schätzen die zauberhafte Crew, das Netzwerk und die Austauschmöglichkeiten, die der Raum uns bietet. Wir tummeln uns gerne hier und tauschen uns aus. So erfahren wir mehr über die Branche und im besten Fall entwickeln sich Ideen, Projekte oder sogar Kooperationen. Ich persönlich schätze zudem den Austausch zwischen Hamburg und Berlin. Das sollte intensiviert werden. Die Städte sind eng genug beieinander und können durch solche Räume stark voneinander profitieren.  

nextMedia: Ich habe gesehen, dass ihr in Berlin auch in einem Raum aktiv seid, dem Amplifier. Was hat es damit auf sich? 

Wolfgang Macht: So um 2017 wollte ich mit den Netzpiloten raus aus der rein digitalen Blase, in der wir seit so langer Zeit schon etabliert sind. Ich bekam in Berlin die Gelegenheit, einen innovativen modularen Work- und Eventspace mitzuinitiieren und zu co-hosten. Der wunderbare Amplifier ist nicht öffentlich gefördert wie der SPACE in Hamburg, aber er wird nach Kräften durch uns geprägt für digitale und gesellschaftliche Themen.   

nextMedia: Wieso war es euch ein Anliegen, aus der digitalen Blase rauszukommen? 

Wolfgang Macht: Viele große digitale Entwicklungen und deren Auswirkungen auf unser aller Leben und Arbeiten gilt es zu besprechen – und zwar nicht nur mit den digital affinen Menschen um uns herum, sondern auch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen. Das ist offline einfacher und passender. 

nextMedia: Zum Beispiel, um sich über die Entwicklungen im Bereich KI auszutauschen, nehme ich an. Wie blickst du gerade auf die KI-Entwicklungen?  

Wolfgang Macht: Manches fühlt sich so an wie damals, als das Internet aufkam: Wieder gibt es Menschen, die begeistert hineinstürmen, und andere, die die KI verteufeln und ablehnen. Und dann gibt es noch diejenigen, die Angst davor haben und das Thema einfach ausblenden.  

nextMedia: Also ist es für dich eine Art Déjà-vu-Erlebnis? 

Wolfgang Macht: Nein, nicht vollständig. Wir haben mit KI schon eine etwas andere Situation. In meiner Erinnerung wurde das Internet in den 1990er Jahren nicht so dramatisch in einer Dualität von heilsbringend oder menschheitsbedrohlich wahrgenommen. Ich denke, es wäre gut, wenn wir neben der rein kommerziellen Nutzung auch einen gemeinnützigen Ansatz entwickeln würden. 

nextMedia: Was meinst du damit? 

Wolfgang Macht: Meine unternehmerisch-getriebene Generation hat es rückblickend versäumt, viele starke gemeinnützige Non-Profit-Produkte, wie beispielsweise das spendenfinanzierte Wikipedia für alle digitale Massen-Anwendungen zu entwickeln. Es gibt zwar eine Open-Source-Gegenwelt zum hochkommerziellen Universum, aber die größten und beliebtesten Plattformen gehören einigen wenigen sagenhaft reichen Unternehmen. 

nextMedia: Und diese Entwicklung beobachtest du nun auch bei der KI? 

Wolfgang Macht: Es ist deutlich sichtbar, dass im Grunde dieselbe Handvoll großer Unternehmen das KI-Rennen unter sich ausmachen wird. So gut wie alles an der KI-Kommerzialisierung ist intransparent. Im Grunde müssen wir stoisch warten, bis uns die jeweiligen Produkte vorgesetzt werden.  

nextMedia: Wie möchtet ihr diesen nächsten Schritt der digitalen Revolution begleiten? 

Wolfgang Macht: Ob wir eigene Produkte entwickeln, weiß ich nicht, aber in jedem Fall möchten wir bei dem Impakt dieser neuen Technologie auf unser Leben wieder erklärend und vermittelnd bereitstehen. Vielleicht schwingen wir uns auf und werden KI-Erklärer, vergleichsweise wie wir damals als Internet-Erklärer gestartet sind.

nextMedia: Vielen Dank für das Gespräch! 

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